Eine Handreichung zur diversitätsbewussten Pädagogik

3.3.2 Sexuelle Vielfalt

Menschen haben vielfältige sexuelle Orientierungen. Auch Verlieben, Begehren sowie Beziehungs- und Familienmodelle sind vielfältig (Debus/Laumann 2018).

Vielfalt von sexuellen Orientierungen sowie Lebens- und Liebensweisen

  • asexuell: kein sexuelles Begehren bzw. kein Interesse an Sexualität. Asexuelle Menschen können aber auch Beziehungen haben
  • bisexuell: Begehren, Lieben und Sexualität sowohl mit männlichen als auch weiblichen Personen
  • heterosexuell: gegengeschlechtliches Begehren, Lieben und Sexualität zwischen Frauen und Männern
  • lesbisch: gleichgeschlechtliches Begehren, Lieben und Sexualität unter weiblichen Personen
  • schwul: gleichgeschlechtliches Begehren, Lieben und Sexualität unter männlichen Personen
  • pansexuell: Begehren, Lieben und Sexualität unabhängig von der Geschlechtsidentität der anderen Person, umfasst auch Trans*, nicht-binäre und Inter*Menschen
  • queer: Begehren, Lieben und Sexualität jenseits von Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit, umfasst auch Trans*, nicht-binäre und Inter*Menschen. Queer ist ein angeeigneter englischsprachiger Begriff von und für Menschen, die vorherrschenden Normen von Männlichkeit und Weiblichkeit sowie Heterosexualität nicht entsprechen wollen und diese Normen in Frage stellen.

Rechtliche Gleichberechtigung von schwulen und lesbischen Partnerschaften

Die rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen ist ein langer und nicht abgeschlossener Prozess mit vielen Hürden und Widerständen. Wichtige Errungenschaften sind, dass in Belgien, Deutschland, den Niederlanden, Schweden, Spanien und Portugal auch schwule und lesbische Paare heiraten dürfen. In Dänemark, Frankreich, Irland, Luxemburg, Österreich, Slowenien, Ungarn und Großbritannien gibt es die eingetragene Partnerschaft für homosexuelle Paare, jedoch sind diese zur Ehe meistens rechtlich nicht komplett gleichgestellt. In vielen EU-Ländern gibt es nach wie vor keine Anerkennung von Partnerschaften von schwulen und lesbischen Paaren. Oft wird die Ehe weiterhin als exklusive Vereinigung von Mann und Frau definiert (z.B. in Bulgarien, Litauen, Polen und Rumänien).

Kinder adoptieren dürfen schwule und lesbische verheiratete Paare nur in Belgien, Dänemark, in den Niederlanden, Schweden, Spanien sowie Großbritannien und seit 2018 auch in Deutschland.

Darüber hinaus besteht in vielen Ländern der Welt keine gesetzlich verankerte Gleichberechtigung und Schutz von Schwulen und Lesben, sowie generell LSBTIQ* (lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans*, inter* und queeren) Personen. Teilweise werden Homosexuelle auch immer noch verfolgt.

Rechtlicher Status von Homosexualität weltweit

Wikipedia (CC BY-SA 3.0)

Gleichgeschlechtlicher Geschlechtsverkehr ist illegal. Strafen:

  •   Tod
  •   Tod durch Milizen
  •   Gefängnis, nicht vollstreckt
  •   Gefängnis, Tod nicht vollstreckt
  •   Gefängnis, mit Verhaftung oder Inhaftierung

Gleichgeschlechtlicher Geschlechtsverkehr ist legal. Anerkennung von Lebensgemeinschaften:

  •   Ehe
  •   Lebenspartnerschaften
  •   limitiert international
  •   Keine
  •   Extraterritoriale Ehe
  •   limitiert nationalstaatlich
  •   Optionale Zertifizierung
  •   Beschränkungen der Meinungsfreiheit

Die Abbildung zeigt, dass in einigen afrikanischen und asiatischen Ländern Homosexualität illegal und mit Strafen, Freiheitsentzug und teilweise sogar mit der Todesstrafe geahndet wird. Doch auch die Legalität schützt nicht vor Diskriminierung, Ausgrenzung oder Gewalt. Blut spenden ist für homosexuelle Männer in vielen Ländern der Welt verboten, auch innerhalb der Europäischen Union (vgl. Equaldex, 2019). Die EU-Grundrechtecharta verbietet die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität. Explizite Anti-Diskriminierungsgesetze zum Schutz von Schwulen und Lesben, z.B. vor Diskriminierung im Arbeitsleben, gibt es allerdings nur in wenigen EU-Ländern.

Homophobie/Homofeindlichkeit

Homophobie ist die Abwertung und Feindlichkeit gegenüber schwulen und lesbischen sowie queeren Menschen. Homophobie ist nicht Ausdruck von Angst, sondern vielmehr von Vorurteilen, Ablehnung, Abwertung und Hass gegenüber Menschen, die nicht der Heterosexualität bzw. Heteronormativität entsprechen. Homophobie umfasst drei Komponenten:

  • kognitiv/gedanklich: stereotype Vorstellungen von homosexuellen Menschen, von ihrem Aussehen und ihrem Verhalten
  • affektiv/gefühlt: Gefühle wie Ekel, Abneigung, Hass oder Angst hinsichtlich des eigenen ambivalenten Begehrens
  • Verhalten: Befürwortung oder Forderung nach ungleicher Behandlung, beispielweise bei der Verweigerung gleicher Rechte

Vorurteile führen nicht zwangsläufig zu einem diskriminierenden Verhalten, können allerdings den Boden dafür bereiten (vgl. Hoffmann et al. 2017: 24).

Homophobie kann sich in verbaler und psychischer Gewalt äußern. Hierzu gehören Beleidigungen oder Beschimpfungen sowie unerwünschte sexualisierte Kommentare. Auch das Androhen von körperlicher Gewalt sowie körperliche Angriffe sind möglich (vgl. Kalkum/ Otto 2017: 20).

Ein Beispiel dafür ist schwul als Schimpfwort. Kinder lernen schon früh, dass man andere verletzt, wenn man sie als schwul oder lesbisch bezeichnet. Viele Schimpfwörter dienen dazu, Überschreitungen der Geschlechterrolle zu sanktionieren. Laut Studien hören Lehrkräfte bei Schwulenwitzen meistens weg oder lachen mit (vgl. Klocke 2012, 2014, 2016; Krell/Oldemeier 2015, 2017). Jedoch gibt es lesbische Mädchen, schwule Jungen und potentiell auch Trans* und Inter*Jugendliche in jeder Jugendgruppe. Länderübergreifende Forschungsberichte haben aufgezeigt, dass Familie und Schule die Bereiche sind, in denen LSBTIQ*-Jugendliche am meisten Probleme haben (vgl. Takacs 2006).

Ein Resultat der täglichen Abwertungen, Diskriminierungen und Vorurteile ist, dass LSBTIQ*-Menschen sich oft nicht trauen ihre Identität zu leben. Sie haben Angst vor Diskriminierung und Gewalt. Dies kann zu Isolation, Einsamkeit, sich nicht verstanden und geliebt fühlen sowie zu weitreichenden psychosozialen Gesundheitsproblemen führen: “Ich dachte, ich bin die/der einzige auf der Welt” (Krell/Oldemeier 2015).

Zu den psychosozialen Problemen von LSBTIQ*-Menschen gehören verstärkt (vgl. Kersten/ Sandfort 1994; Bielefeld at al 2001):

  • Lernprobleme, Konzentrationsstörungen
  • Verhaltensauffälligkeiten
  • Alkohol- und Drogenmissbrauch, psychosomatische Probleme wie Ess- und Schlafstörungen
  • Angst und Schuldgefühle, mangelnde Selbstakzeptanz, Depressionen
  • Vermeiden sozialer Situationen, Isolation, Schulabbruch
  • Suizidversuche

LSBTIQ*-Jugendliche sind von einem viermal höheren Suizidrisiko betroffen als ihre heterosexuellen Altersgenoss*innen (vgl. Schupp 1999). Bei Trans*Menschen ist das Suizidrisiko noch größer. Die Ungleichwertigkeit zeigt sich auch darin, dass sich LSBTIQ*-Menschen outen müssen, denn es wird immer unterstellt, dass alle heterosexuell sind (Heteronormativität).