Eine Handreichung zur diversitätsbewussten Pädagogik

2.3.1 Migration

Migration ist ein Phänomen, das so alt ist wie die Menschheit selbst. Die Menschen waren erst Nomaden, bevor sie durch landwirtschaftliche Tätigkeiten sesshaft wurden. Migration bezeichnet die längerfristige Verlegung des Lebensmittelpunktes über administrative Grenzen hinweg (Bundeszentrale für politische Bildung, 2020). Es gibt keine allgemeingültige Definition davon, wie groß die Entfernung oder wie lang der Zeitraum sein muss, um Wanderungsbewegungen als Migration zu bezeichnen. Die Vereinten Nationen z.B. unterscheiden zwischen mehr als dreimonatiger (=temporärer) Migration und über ein Jahr andauernder (=dauerhafter) Migration. Werden Staatsgrenzen überschritten spricht man von internationaler Migration. Wanderungsbewegungen innerhalb eines Staates werden als Binnenmigration bezeichnet. Auch innerhalb der Europäischen Union wird häufig von EU-Binnenmigration gesprochen, da die Europäische Freizügigkeit so gut wie keinen rechtlichen Beschränkungen unterliegt. Unterschieden wird neben der Distanz und Dauer auch die Motivation für menschliche Mobilität. Migration aufgrund von Arbeit, zur Gründung oder Zusammenführung einer Familie, für bessere Bildungschancen und aufgrund von Verfolgung oder Gewalt (= Flucht) zählen zu den häufigsten Gründen (ebd.).

Heutige, globale Migrationsbewegungen und -motivation stehen zudem in Verbindung mit der Kolonialisierung des Globalen Südens. Der Reichtum des Globalen Nordens und die sich entwickelnden europäischen Nationalstaaten beruhen auf der Kolonialisierung, der Versklavung von Menschen sowie weiterhin bestehenden strukturellen Ungleichheiten im Welthandelssystem und restriktiven Migrationsregimen. Jahrhundertelange Unterdrückung sowie die Ausbeutung von Arbeitskraft und natürlichen Ressourcen, z.B. Öl, Cobalt etc., haben die meisten Länder des Globalen Südens, auch durch Kriege und Naturkatastrophen, strukturell in Armut gestürzt (Fischer-Tiné, 2016).

Seit Mitte des 20. Jahrhunderts haben sich die meisten ehemaligen Kolonien/Länder des Globalen Südens zwar politische Unabhängigkeit erkämpft, doch der wirtschaftliche Einfluss der ehemaligen Kolonialmächte ist immer noch groß. Der Globale Norden importiert Rohstoffe und billig produzierte Waren durch Ausbeutung z.B. in Sweatshops aus dem Globalen Süden. Gängige Praxis ist dabei das Bezahlen eines nicht-existenzsichernden Lohnes sowie das Fehlen von Arbeitsschutz- und Umweltschutzauflagen (vgl. CCC 2018, S.2). Kriegerische Auseinandersetzungen um Ressourcen und die Klimakrise verschärfen die Situation der Menschen im Globalen Süden und sind neben der wirtschaftlichen Perspektivlosigkeit weitere Auslöser für Flucht und Migration.

Auf der anderen Seite gab und gibt es eine gezielte Anwerbung von Migrant*innen, nämlich dann, wenn billige Arbeitskräfte aus dem Ausland gesucht werden (vgl. Eurostat 2019; UN Migration Report 2017; UNHCR 2018). Weltweit betrachtet ist der Anteil von ausländischen Staatsangehörigen mit 88 % in den Vereinigten Arabischen Emiraten am höchsten. Die Arbeiter*innen kommen zum Großteil aus Ägypten, Bangladesch, Indien und Pakistan und sind in der Baubranche tätig (UNHCR 2018). Diese Praktik der Anwerbung von billigen Arbeitsmigrant*innen fand u.a. auch in Deutschland statt. Zum Wiederaufbau Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg gab es eine staatlich geleitete Gastarbeiter*innenanwerbung (z.B. in Griechenland, Italien, Marokko, Spanien und der Türkei). Da Menschen nicht nur Arbeitskräfte sind, sind viele dieser Arbeitsmigrant*innen in Deutschland geblieben und haben Familien nachgeholt bzw. neue gegründet. Viele Menschen, die immer noch in Deutschland als Migrant*innen oder “Türken, Araber etc.” fremdmarkiert werden - auch im Bildungswesen-, sind Nachkommen in der 2.-5. Generation dieser Arbeitsmigrant*innen und damit Postmigrant*innen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind und nicht immer die Sprache der Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern sprechen. Viele von ihnen haben trotzdem immer noch keinen deutschen Pass (Akyol, 2011).

Flucht und Asyl

Entgegen boulevardistischer Mediendarstellungen, die vermitteln, dass die EU von Migrant*innen im Allgemeinen und Geflüchteten im Speziellen „überschwemmt“ wird, leben nur 3 % der Weltbevölkerung in einem anderen Land als ihrem Geburtsland. Ist eine Migration durch Krieg, Verfolgung oder Hunger erzwungen, spricht man von Flucht. Im Jahr 2018 waren weltweit 71 Millionen Menschen auf der Flucht. Der Großteil von ihnen, ca. 60 %, flüchten innerhalb ihrer eigenen Landesgrenzen. Sie sind sogenannte Binnenflüchtlinge. Der Großteil aller internationalen Geflüchteten, ca. 80 %, leben in angrenzenden Nachbarländern (vgl. UNHCR 2019). Neun von zehn Geflüchteten leben damit in einem Land des Globalen Südens. Zu den größten Aufnahmeländern im Globalen Süden zählen Pakistan, Sudan, die Türkei und Uganda. Daneben zählt Deutschland zu den größten Aufnahmeländern weltweit (ebd.).

Geflüchtete aus Drittstaaten kommen auf vielen Wegen in der EU an: legal z.B. mit Touristenvisum, als Studierende, mit Arbeitsvertrag. Da die legale Flucht nach Europa seit den 90er Jahren stark begrenzt wird und die EU-Außengrenzen seitdem zunehmend durch die EU-Grenzschutzagentur Frontex militarisiert wurden, kommen immer mehr Menschen auf rechtlich nicht vorgesehen bzw. als illegal bezeichneten Wegen in die EU, z.B. auf dem Seeweg über das Mittelmeer oder über die Balkanroute. Seit Jahren reißen die Berichte über in Seenot geratene Flüchtlingsboote nicht ab. Allein 2016 ertranken mehr als 5.000 Menschen im Mittelmeer, die Dunkelziffer dürfte weitaus höher sein. 2017 waren es mehr als 3.100 Geflüchtete und 2018 wurden 2.300 Tote und Vermisste gezählt (vgl. UNO-Flüchtlingshilfe 2019). Damit ist das Mittelmeer die tödlichste Seeroute der Welt, und dies nicht aufgrund sehr gefährlicher Gewässer, sondern wegen nicht durchgeführter EU-Seenotrettung. Jeden Tag ertrinken dort laut UNHCR sechs Geflüchtete vor den Toren der EU. Die Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung, wie im Fall der Kapitänin Carola Rackete prominent in den Medien berichtet wurde, macht die EU-Abschottungsstrategie deutlich, die schon seit längerem mit dem Begriff Fortess Europe/Festung Europa kritisiert wird.

Wer für die Geflüchteten zuständig ist, regelt das Dublin I- und Dublin II-Abkommen (vgl. Asylkoordination Österreich 2016). Demnach ist das EU-Land für die Person zuständig, wo diese den ersten Fuß in die EU gesetzt hat, sprich zu einem sehr großen Anteil die EU-Mittelmeeranrainer-Staaten, wie Griechenland, Italien, Spanien und Malta (Der Standard, 2019). Die EU-Mittelmeeranrainer-Staaten, welche selbst nicht zu den wohlhabendsten EU-Staaten zählen, werden mit der Flüchtlingsfrage allein gelassen. Die Binnenstaaten streifen das Problem ab, da es ja laut EU-Regelung so festgelegt wurde, dass der Asylantrag im ersten EU-Staat gestellt werden muss, in dem die geflüchtete Person europäisches Hoheitsgebiet betreten hat und dieser für den Asylantrag zuständig ist (Dublin II). Neben Griechenland und Italien nehmen Deutschland und Frankreich die meisten Geflüchteten auf (Eurostat 2019).

In der EU (inklusive Norwegen und der Schweiz) wurden 2018 insgesamt 634.700 Asyl-Erstanträge gestellt, das sind gemessen an der Einwohner*innenzahl der EU 0,1 %. Die Tendenz fällt im Augenblick wieder laut der Statistik-Agentur der EU (Eurostat), jedoch nicht, weil es weniger Menschen gibt, die auf der Flucht sind, sondern weil die Grenzkontrollen, u.a. auch der europäischen Grenzschutzagentur Frontex, verstärkt wurden und die Außengrenzen hermetisch abgeriegelt sind. Derzeit sind 1.500 Grenzbeamte an den EU-Außengrenzen im Einsatz, die Zahl soll laut Medienberichten bis 2027 auf 10.000 erhöht werden (Der Standard, 2019). In der EU kamen im Jahr 2018 die meisten Antragsteller*innen aus Afghanistan, dem Irak und Syrien. 333.400 Asylanträge erhielten einen positiven Bescheid, was einem Rückgang von fast 40 Prozent gegenüber 2017 entspricht (vgl. Europäisches Parlament 2019).

Generell ist der bürokratische Weg zum Flüchtlingsstatus bzw. Asylbescheid für die Betroffenen lang. Die Menschen leben in der permanenten Unsicherheit, ob sie bleiben dürfen oder doch abgeschoben werden. Ohne permanente Aufenthaltsgenehmigung dürfen Geflüchtete und Migrant*innen nicht zur Schule gehen, keine Ausbildung machen oder einer legalen Tätigkeit nachgehen. Sie sind in Sammelunterkünften massenuntergebracht, oft von der ansässigen Bevölkerung isoliert, haben nur eine minimale Gesundheitsversorgung oder Angebote wie Sprachkurse. Viele Geflüchtete sind oft von Verfolgung, Krieg, Hunger oder den Ereignissen auf der Flucht hoch traumatisiert, da z.B. Angehörige gestorben sind, und bekommen keine adäquate medizinische Versorgung und auch keine gesicherte Perspektive im EU-Land, die für Heilung notwendig wäre (Oulios, 2014).

Für die Integration sind diese Wartezeiten und Ungewissheiten nicht förderlich, für die Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft in den Aufnahmeländern auch nicht. Dies geht auch aus dem Grundrechtebericht 2019 der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, kurz FRA, hervor: Rund sieben von zehn Europäer*innen betrachten die Integration von Migrant*innen und Geflüchteten – einschließlich der Personen, die internationalen Schutz sprich Asyl genießen – als langfristig notwendige Investition, die sowohl den betroffenen Personen als auch dem Empfängerland dient. Von 2015 bis 2017 erhielten laut Eurostat (2019) in den 28 EU-Mitgliedstaaten (von insgesamt 3,2 Millionen gestellten Asylanträge) 1,4 Millionen Personen internationalen Schutz als anerkannte Geflüchtete nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Diese Bestimmungen der Flüchtlingskonvention sind im EU-Recht verankert, jedoch werden sie nicht immer eingehalten, wie Untersuchungen der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte zeigen. Zum Beispiel haben sechs Mitgliedstaaten zu langwierige Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen. Diese erschweren Geflüchteten den Zugang zu Bildung und Beschäftigung, beeinträchtigen ihre psychische Gesundheit und erhöhen ihre Anfälligkeit für Ausbeutung und Kriminalität. Die Studien zeigen auch, dass Geflüchtete dem Risiko der Obdachlosigkeit ausgesetzt sind, nachdem ihnen internationaler Schutz gewährt wurde (FRA 2019, S. 14).

Trotz der im Verhältnis betrachteten geringen Zahl an Geflüchteten und Migrant*innen in der EU, ist das politische Klima für Menschen mit Migrationsgeschichte rau geworden. So verfolgen Italien, Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Österreich, Polen, Ungarn und Großbritannien gegenwärtig eine Abschottungsstrategie. Hier sind die Wahlen in den letzten Jahren zugunsten rechtspopulistischer, nationalistischer Parteien ausgefallen. Diese vereinen sich unter dem Banner der Hetze gegen Migrant*innen, Muslim*innen, Geflüchtete, Personen of Color, Sinti*zze und Rom*nja, Homosexuelle und Feminist*innen. Die politische Lage zeigt, dass Rechtspopulismus als Hetze und Beschuldigung von vulnerablen Personengruppen für die zunehmende wirtschaftliche und gesellschaftliche Entsicherung durch den Neoliberalismus salonfähig wurde. Rassistisch und nationalistisch motivierte Diskriminierungen und Gewalt sind sehr häufig. Auch Brandanschläge auf Geflüchtetenunterkünfte sowie Hetzjagden auf Menschen, die keine weiße Hautfarbe haben, haben seit 2015 stark zugenommen. So gaben z.B. ein Drittel der in der EU lebenden Personen of Color an, im Jahr 2018 rassistisch belästigt worden zu sein (Der Standard, 2018).

Diese alarmierenden Zahlen zeigen, dass die Thematisierung von Rassismus sowie der Einsatz gegen rassistisch-nationalistische Diskriminierungen, als auch die faktenbasierte und kontextualisierte Thematisierung von Migration und Flucht, von enormer Wichtigkeit für ein friedliches Miteinander in der Weltgesellschaft sind. Der Holocaust und Zweite Weltkrieg haben gezeigt, dass Rassismus, Nationalismus und Vorherrschaftsideologien tödlich sind und dass die Wahrung und Realisierung der Menschenrechte das allerhöchste Gut unserer Gesellschaften sein sollten.

EU-Binnenmigration

Unter Binnenmigration in der EU werden permanente, temporäre oder zirkuläre Wanderungsbewegungen von Unionsbürger*innen auf Basis ihrer Freizügigkeitsrechte durch das Schengen-Abkommen verstanden (vgl. Europäische Union 2019). Für EU-Bürger*innen bieten diese Rechte viele Möglichkeiten: Grenzüberschreitungen ohne Ausweiskontrollen, Studieren im Ausland mit Erasmus-Programmen und freie Arbeitsplatz- und Wohnortwahl innerhalb der EU. Gesetzlich verankert, angefangen vom Vertrag von Maastricht 1993 zur Freizügigkeit von Arbeitnehmer*innen bis hin zur Festlegung des Aufenthaltsrechts für mitziehende Familienmitglieder (Verordnung 492/2011), haben Unionsbürger*innen formal gleiche Rechte innerhalb der EU zumindest in den ersten drei Monaten eines Aufenthalts (vgl. Haase 2018). Soll ein Aufenthalt länger als drei Monate dauern, was ein Umzug aufgrund von Arbeitssuche ja meist zur Absicht hat, erschwert eine Klausel die reale Umsetzbarkeit: So knüpft man laut Paragraph 4 des EU-Freizügigkeitsgesetzes den Aufenthalt von nicht erwerbstätigen Unionsbürger*innen und ihren Familienangehörigen an eine gültige Krankenversicherung und ausreichende Existenzmittel (vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat 2019). Vorrangig zieht es Arbeitnehmer*innen und deren Familienmitglieder aus Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Tschechische Republik und Ungarn in westeuropäische EU-Länder wie Deutschland oder Großbritannien (zumindest bis 2019). Gründe dafür sind zum Großteil die ökonomischen Unterschiede, wie das ungleiche Lohnniveau und Arbeitsmangel insbesondere in Pflege-Berufen sowie im Niedriglohnsektor und zur Erntezeit (vgl. Haase 2018).

Mobilitätsquote nach Ländern (Bundeszentrale für Politische Bildung 2017)
  •   Länger als 10 Jahre, inkl. Geburt im Aufenthaltsland
  •   5 bis 10 Jare
  •   weniger als 10 Jahre

Bürger im erwerbsfähigen Alter, die in einem anderen EU-Staat leben, nach Aufenthaltsjahren (Altersgruppe 15-64, 2014, Anteil an der Erwerbsbevölkerung im Land der Staatsangehörigkeit).

Die Mobilitätsquote ist die Zahl der im Jahr 2014 in einem anderen Mitgliedstaat lebenden Erwerbstätigen, in Prozent der Erwerbsbevölkerung des Landes der Staatsbürgerschaft. Die Zahlen für CY, LU, MT und SI sind zu klein, um zuverlässig zu sein. Die Zahlen für DK, EE, FI und HR sind aufgrund der geringen Größe der Stichprobe von begrenzter Zuverlässigkeit."

DG EMPL, Berechnung nach Eurostat EU-LFS
Creative Commons by-nc-nd/3.0/de
Bundeszentrale für politische Bildung, 2017, www.bpb.de

Wie aus der Grafik hervorgeht, sind es besonders erwerbsfähige Bürger*innen aus Litauen, Portugal und Rumänien, die hohe Mobilitätsraten – wenn auch meist nur temporärer Natur - im EU-Vergleich aufweisen. Dies hängt viel mit Saisonarbeit in der Landwirtschaft sowie auf dem Bau zusammen. In den stärker frequentierten Aufnahmeländern wird auf diese Migration unter der Bevölkerung teilweise mit Abwehr reagiert. Dabei werden mehrere Faktoren nicht berücksichtigt: Es gibt z.B. in vielen Ländern Vorrangprüfungen, die Arbeitnehmer*innen mit jeweiliger nationaler Staatsbürgerschaft vor Migrant*innen bevorzugen. Es handelt sich deshalb oft um unbesetzte Arbeitsplätze, die von der ansässigen nationalen Bevölkerung nicht besetzt werden, z.B. saisonale Erntehelfer*innen, Pflegekräfte, Bauarbeiter*innen. Zudem muss der positive Saldo der neuen Beitragszahler*innen, der durch Lohnabgaben in die Staatskassen der Aufnahmeländer fließt, bedacht werden (vgl. Haase 2018).

Trotz der rechtlichen Freizügigkeit zeigen sich faktische Mobilitätsbarrieren, wie z.B. die Diskriminierung von EU-Binnenmigrant*innen, die Unkenntnis über Rechte von EU-Migrant*innen, Sprachbarrieren und unzureichende Anerkennung von beruflichen und akademischen Qualifikationen sowie kaum arbeitsrechtliche Absicherung oder irreguläre Beschäftigung etc. (vgl. Haase 2018). Zukünftig sollte das Augenmerk unter anderem auf den Schutz der Migrant*innen vor Ausbeutung am Arbeitsplatz gelegt werden. Davon sind besonders Bürger*innen der EU-8-Länder im Baugewerbe oder der Pflege betroffen.

Aufgrund des demographischen Wandels in der EU wird ein Bevölkerungswachstum in Europa, und damit die Sicherung des Sozialsystems nur durch internationale Wanderbewegungen erreicht werden, so die UN (bpb.de, 2018). Hochqualifizierte Arbeitskräfte aus aller Welt sind ebenso willkommen wie Fachkräfte im Niedriglohnsektor, z.B. in der Pflege. Was sich aber noch nicht abschätzen lässt ist, was diese Entwicklung langfristig für die Herkunftsländer und die Zukunft der dort lebenden Menschen bedeutet.

Eurowaisen

Der Begriff „Eurowaisen“, oder „EU-Waisen“, wurde in den letzten Jahren medial geprägt und beschreibt das Phänomen, dass vorrangig aus Osteuropa stammende Eltern ihre Familie und Kinder verlassen, um im EU-Ausland Geld zu verdienen. Eine genaue Ziffer von betroffenen Kindern zu nennen ist schwierig, weil sich die Eltern oft illegal arbeitend im Ausland befinden. NGOs gehen von 500.000 bis einer Million Kindern in der EU aus, besonders stark betroffen sind die Länder Bulgarien, Polen und Rumänien. In der Ukraine schätzen NGOs neun Millionen „Eurowaisen“ (vgl. Nejezchleba 2013). Angesichts der hohen Arbeits- und Perspektivlosigkeit besonders in den ländlichen Gebieten der benannten Staaten, bleibt den Eltern oft keine Wahl, wenn es darum geht, den Lebensunterhalt zu verdienen und ihren Kindern eine gesicherte Zukunft zu ermöglichen. Helfen könnte der Situation eine Harmonisierung der Familiengesetzgebung in der EU, d.h. die Möglichkeit des permanenten Familiennachzugs. Nachhaltig betrachtet wäre eine Verbesserung der Arbeitsmarktsituation und eine höhere Entlohnung in dem Herkunftsland die größte Hilfe für die „Eurowaisen“ (vgl. Nejezchleba 2013).