Eine Handreichung zur diversitätsbewussten Pädagogik

1 Einleitung

Das Projekt

Gesellschaftliche Veränderungen, wie intereuropäische und internationale Migration sowie Globalisierung, betreffen auch Bildungssysteme. Sie bieten auch neue Möglichkeiten und Herausforderungen für Institutionen und Vereine, die mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen arbeiten. Um solchen gesellschaftlichen Veränderungen begegnen zu können, brauchen Fachkräfte neben der fachlichen Wissensvermittlung auch starke Sozialkompetenz, sodass sie Vielfalt und Verständnis innerhalb der Gemeinschaft fördern können.

Deshalb hat sich im Rahmen eines Erasmus+ Projekts ein europäisches Team aus Experten*innen gebildet, um Module und Methodenvorschläge zur Förderung von kritischen und differenzierten Perspektiven auf Identität und Diversität zu diskutieren. Ziel des Projektes ist die Entwicklung eines praxisorientierten Diversity-Bildungspakets, das den Bedarf der europäischen Bildungslandschaft nach anti-diskriminierenden Materialien online und offline abdeckt.

Für Fachkräfte und Multiplikator*innen wurde auf einer mehrsprachigen Diversity Plattform Folgendes bereitgestellt:

  • Diversitätsbewusstes online Lehrmaterial und Methodenempfehlungen in sieben europäischen Sprachen (Bulgarisch, Deutsch, Griechisch, Litauisch, Polnisch, Rumänisch, Slowenisch)
  • Online Handbuch mit Informationen zu Diversity Education, europäischen Good Practice Beispielen, Awareness-Strategien u.v.m.
  • Begleitendes Material und Handreichungen für Multiplikator*innen zur selbstständigen Durchführung von Weiterbildungsveranstaltungen zu Diversity Education
  • Förderung des professionellen Austauschs in Europa durch transnationale Trainings und ein mehrsprachiges Forum auf der Diversity Plattform

Zielgruppen: Fachkräfte der Jugend- und Erwachsenenbildung, Lehrkräfte, Studierende und Professionelle der Sozialen Arbeit und Pädagogik, Akteur*innen aus der Schul- und Bildungslandschaft, Ausbildungsinstitutionen.

Acht Kooperationspartner*innen aus sieben Ländern waren am Projekt beteiligt:

Gendergerechte Sprache

Wir verwenden in dieser Handreichung die gendergerechte Sprache, um Diversität auf sprachlicher Ebene sichtbar zu machen und umzusetzen. Referenzsprache ist dabei Deutsch, weil diese Dokumente und Methoden im Rahmen eines von der EU geförderten Projekts entstanden sind, das bei der deutschen Nationalagentur eingereicht wurde.

In keinem EU-Land gibt es für gendergerechte Sprache bisher eine klare rechtliche Grundlage, dennoch ist es ein Ausdruck unseres Selbstverständnisses. Wir verwenden in dieser Publikation eine bewusst reflektierte Schreibweise mit dem Sternchen „*“, z.B. Akteur*innen. Mit dem Sternchen soll die vorhandene Vielfalt von Geschlechtsidentitäten (siehe dazu Kapitel 3) sichtbar gemacht werden. Uns ist bewusst, dass es insbesondere in Hinblick auf die Vielfalt der Sprachen, in die diese Handreichung übersetzt wird, zu unterschiedlichen Ausprägungen der Sprache/Schreibweisen in Bezug auf Geschlechtervielfalt kommen kann. Nicht in jeder Sprache ist ein „*“ oder „Binnen-I“ möglich. Einige Sprachen sind im Aufbau anders, sodass die männliche und weibliche Form in den Verben dekliniert wird. Meist ist eine Mehrfachnennung dadurch unleserlich.

Uns ist es daran gelegen, dass die Handreichung größtmögliche Akzeptanz bei den Zielgruppen findet. Deshalb ist es den Übersetzer*innen überlassen in welcher Ausprägung die gendergerechte Sprache umgesetzt wird, um die Zugänglichkeit von Inhalten und die Praktikabilität nicht zu beeinträchtigen.

Hinweise zu den Materialien

Diese Handreichung dient dem vertiefenden Hintergrundwissen rund um das Thema Vielfalt. Unser Zugang zur diversitätsbewussten Pädagogik ist für Einsteiger*innen geeignet.

Die Auswahl der Themen

Die Vielfaltsdimensionen, zu denen wir in dieser Handreichung einen Einstieg anbieten, sind:

  • Kulturelle, ethnische und religiöse Vielfalt
  • Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt
  • Soziale Vielfalt

Die Formen der Diskriminierungsebenen werden in den jeweiligen Unterkapiteln thematisiert.

Die Vielfaltsdimension von Beeinträchtigung und Behinderung haben wir aus verschiedenen Gründen ausgeklammert: Im Rahmen einer ausführlichen Länderanalyse ist herausgekommen, dass es europaweit bereits sehr viele gute Materialien zu diesem Thema gibt. Die normative und rechtliche Verankerung (z.B. die in allen EU-Ländern ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention) sowie die politische und gesellschaftliche Wahrnehmung des Themas Behinderung ist auf formaler Ebene ausgeprägt. Es gibt in allen EU-Ländern staatliche Kontroll- und Beratungsinstanzen sowie Inklusionsverantwortliche und Aktionspläne.

Gleichzeitig möchten wir darauf aufmerksam machen, dass im Bereich der Inklusion und Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen noch viel Arbeit notwendig ist. Denn Ausschlussmechanismen und Diskriminierungen z.B. auf dem Arbeitsmarkt, in der Bildung und gesellschaftlichen Teilhabe, sowie gesellschaftliche Stigmatisierung von Menschen mit Behinderungen existieren weiter.

Jedoch sind die Facetten von Behinderung und Beeinträchtigung sehr vielschichtig. Die verschiedenen Behinderungen reichen von Seh- und Hörbehinderungen, über Epilepsie und geistige Behinderungen, körperliche Behinderungen, bis hin zu chronischen Erkrankungen sowie seelischen und psychischen Beeinträchtigungen. Die Zugänge und Anforderungen an die Materialien müssten sehr unterschiedlichen Bedürfnissen angepasst werden. Das konnten wir aus Gründen der Praktikabilität in dieser Handreichung nicht leisten. Wir verweisen gerne auf Helmut Schwalbs und Georg Theunissens (2018) „Inklusion, Partizipation und Empowerment in der Behindertenarbeit“ zur weiteren Vertiefung dieser Vielfaltsdimension. Auch sprechen wir uns explizit für die weitere gezielte Förderung von Projekten von und für Menschen mit Behinderungen aus, insbesondere jene, die einen partizipativen Ansatz verfolgen.

Warum reden wir über Vielfalt

Menschen sind von Natur aus sehr unterschiedlich. Die Heterogenität zwischen Menschen, die sich auch gesellschaftlich widerspiegelt, z.B. in Bezug auf sexuelle Orientierung, Geschlechterrollen, kulturelle oder religiöse Zugehörigkeit, Fähigkeiten oder soziale Schichten, ist keine neue Erfindung. Jedoch gibt es durch soziale Bewegungen in den letzten Jahrzehnten mehr Sichtbarkeit und Forderungen der Anerkennung von real existierender menschlicher Vielfalt sowie der Gleichberechtigung und gesellschaftlichen Teilhabe aller Menschen.

Vielfalt zeichnen auch die Europäische Union aus. Die Grundlage der Europäischen Idee ist ein friedlicher Staatenbund der wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit sowie der Menschenrechte. Diese Idee ist maßgeblich durch den 2. Weltkrieg und den Holocaust geprägt, nämlich dem Massenmord an über sechs Millionen Menschen in Europa, insbesondere von Jüd*innen, jedoch auch von Menschen, die nicht den Ideologien des NS entsprachen, also auch Menschen mit Behinderungen, Sinti*zze und Rom*nja, Homosexuellen, Oppositionellen, Intellektuellen und Künstler*innen.

Wir leben folglich in einer komplex vernetzten Welt, die durch die Globalisierung und Digitalisierung immer mehr verflochten ist, und sich gleichzeitig durch Differenzen und Ungleichberechtigung auszeichnet.

Die steigende Komplexität, zunehmende Geschwindigkeit des Lebens und von sozialen Veränderungsprozessen, als auch die damit verbundenen Anforderungen an Arbeitnehmer*innen und an uns persönlich sowie die wachsende soziale und ökonomische Kluft rufen aber auch Gefühle der Orientierungslosigkeit, Überforderung, Existenzangst und Ohnmacht hervor. Es besteht der Wunsch nach einfachen Lösungen für zu komplexe Fragen. Dieser äußert sich immer öfter in wachsender Ablehnung und Hass gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen. Das Phänomen Schuldige zu suchen, die es zu markieren, zu beherrschen, zu unterdrücken, zu deportieren und evt. auszulöschen gilt, ist nicht neu. Im deutschen Nationalsozialismus wurden Jüd*innen und alle Menschen, die nicht den Ideologien des NS entsprachen, zu Schuldigen des eigenen Leids deklariert. Die Suche nach den Schuldigen und jenen, die nicht nur anders, sondern auch als weniger wert deklariert werden, ist historisch fest verankert und die Grundlage von Kolonialismus, Nationalismus, von Kreuzzügen und Vorherrschaftsansprüchen diverser Nationen und Religionen sowie von Weltkriegen, die zu oft zum Genozid ganzer Bevölkerungsgruppen führten. Denn bei Vorherrschaft geht es um die Umdeutung von natürlichen Differenzen zwischen Menschen in Ungleichwertigkeiten. Der in Europa wieder aufflammende Rechtspopulismus, Nationalismus und Rassismus ist ein aktueller Ausdruck davon. Hierbei geht es auch um die Instrumentalisierung von Themen wie Armut und Migration, sowie Affekten, Angst-, Überforderungs- und Ohnmachtsgefühle in Anbetracht einer sich rasant ändernden Zeit des Neoliberalismus und der Digitalisierung. Auch hier sind die Schuldigen des eigenen Leids Migrant*innen, Geflüchtete, Muslim*innen, Homosexuelle, Feminist*innen etc. Gegen diese wird gehetzt, sie werden diffamiert, als minderwertig deklariert, sie werden ausgegrenzt oder deportiert und sind auch strukturell von Diskriminierungen und institutionalisierter Ungleichberechtigung betroffen. Im schlimmsten Fall werden sie gejagt und ermordet. Auch das passiert tagtäglich in Europa.

Wenn die Rede von „Heimat“ oder der „Rückkehr in das Vertraute und Altbekannte“ ist, dann müssen wir genau fragen und hingucken, was diese Heimat, diese beschworene Gemeinsamkeit ausmacht. Auch müssen wir fragen, ob früher wirklich alles besser war, und was genau und für wen. Was das verbindende „Eigene“ ist, ist oft unklar. Weil das so unklar ist und sich das Eigene immer nur in Abgrenzung zu dem vermeintlich „Anderen“ manifestiert und dafür die internen Differenzen und Unterschiede innerhalb einer homogenisierten Kategorie bzw. Gruppe, z.B. zwischen Christ*innen, zwischen Männern etc., ausradiert werden müssen, ist die Ausgrenzung der als „Anders“ markierten besonders wichtig. Ebenso wichtig sind Symbole, symbolisch aufgeladene abstrakte Konzepte wie „Leitkultur“, „Familie“ oder „Wertegemeinschaft“, deren konkrete Ausprägung oft unklar ist.

Bildung hat hier einen besonderen Stellenwert. Denn die gesellschaftliche Vielfalt findet sich in der täglichen Bildungsarbeit in Gruppen wieder und damit sollte eine Sensibilisierung und Reflexion von Vielfalt von Multiplikator*innen zur Aus- und Weiterbildung gehören.

Im Rahmen dieser Handreichung verfolgen wir das Ziel im Sinne einer diversitätsbewussten Pädagogik (Leiprecht 2011) einen Beitrag zu leisten, um mehr Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, Teilhabe und Freiheit für alle Menschen zu erreichen. Die pädagogische Perspektive dahinter ist, dass Vielfalt eine gesellschaftliche Realität und eine Bereicherung darstellt, und wir alle freier und selbstbestimmter leben können, wenn es weniger Diskriminierung und mehr Teilhabemöglichkeiten für alle gibt. Das Verfolgen dieses Ziel setzt bestenfalls einen Prozess in Gang (vgl. Sielert u.a. 2009, S.47), welcher im Sinne des Globalen Lernens lösungsoffen ist. Wir wollen Multiplikator*innen und Fachkräfte dazu anregen und sie darin stärken, Vielfaltsthemen zu bearbeiten, sich auf persönlicher und professioneller Ebene zu öffnen und damit einen Grundstein zu legen, unsere Gesellschaften toleranter, friedlicher und demokratischer zu gestalten.

Kompetenzebenen einer diversitätsbewussten Pädagogik

Toleranz, Offenheit und Solidarität mit Anderen können nur erlernt werden, wenn die*der Lernende den Themen auf verschiedenen Ebenen begegnet, um sich der Komplexität des Gesamten bewusst zu werden (vgl. Sielert u.a. 2009, S.20). Folgende Kompetenzen sind dafür wichtig:

  • Personale Kompetenz: Biografische Selbstreflexion, auch der eigenen Verhaltensmuster, Normen, Moral und Wertvorstellungen sowie Vorurteile; Reflexion der Kommunikation und Auseinandersetzung mit „Anderen“
  • Sachkompetenz/theoretisches Grundlagenwissen: Was ist Kultur und was ist kulturelle Identität? Wie wird Kultur hervorgebracht? Was ist „unsere Kultur” und ist sie statisch oder eher dynamisch? Wie grenzt sie sich von der Kultur „anderer“ ab? Was wissen wir eigentlich über „andere Kulturen“? Wie entstehen Vorurteile? Wann sprechen wir von interkulturellen Unterschieden und inwiefern ist das wichtig?
  • Handlungskompetenz: Materialien werden ausprobiert und didaktisch besprochen. Welche Alltagssituation können damit in Verbindung gebracht werden? Welche Handlungsoptionen habe ich in bestimmten Situationen? Es geht darum zu ermutigen zu reflektieren und aktiv zu werden.

Wir stellen auf der Online-Plattform mit dieser Handreichung, einem Lehrpaket und einem Beispiel für ein Diversity-Training einen Einstieg in das komplexe Thema Vielfalt zur Verfügung. Es ermöglicht Multiplikator*innen und Fachkräften, die Grundformen von Diskriminierung zu verstehen, interaktive Methoden auszuprobieren und die eigenen persönlichen Standpunkte in diesem Feld kritisch zu reflektieren. Wir fokussieren dabei Diskriminierungsformen und deren Interdependenzen (intersektional), denen Menschen in Europa und weltweit ausgesetzt sind (vgl. Czollek u.a. 2012, S.12). Eine intersektionale Perspektive erkennt an, dass Identitäten komplex und vielschichtig sind, und dass sich Identitätsmerkmale (z.B. Geschlecht und Religion) sowie damit verbundene Diskriminierungen miteinander verschränken und sich gegenseitig verstärken oder abschwächen können (Walgenbach 2012).

Unsere Auswahl an Materialien soll im Sinne des Globalen Lernens sensibilisieren, Augen öffnen und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen:

„Globales Lernen ist Lernen, das die Augen und Gedanken von Menschen hinsichtlich der Realitäten der Welt öffnet. Es soll Menschen bewusst machen, an einer Welt mit mehr Gerechtigkeit und gleichen Chancen für alle zu arbeiten.” (Maastricht Global Education Declaration, 2002)

Hier sehen wir enge Verbindungen zwischen der Pädagogik der Vielfalt, diversitätsbewussten Ansätzen in der Jugendhilfe und dem Globalen Lernen. Denn Vorurteile und Stereotype sind nicht angeboren, sondern werden erlernt. Damit kann man sie nach Mecheril (1998) auch wieder verlernen.

Antidiskriminierung als gesellschaftspolitische Programmatik

Zentrales Element aller Strategien gegen Diskriminierung ist die Forderung Gleichberechtigung konsequent durchzusetzen. Die Bundeszentrale für Politische Bildung in Deutschland fasst notwendige Maßnahmen auf drei Ebenen zusammen:

Erstens muss es nicht nur rechtlich wirksame Mittel gegen Diskriminierung geben, sondern zeitgleich muss auch das gesamtgesellschaftliche Bewusstsein gestärkt werden. Dies geschieht beispielsweise durch die professionelle Bearbeitung von Vielfalt in der Ausbildung von Pädagog*innen, Multiplikator*innen und auch in der außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung sowie durch öffentliche Kampagnen.

Zweitens müssen obligatorische Antidiskriminierungstrainings am Arbeitsplatz für Mitarbeiter*innen und Führungskräfte und die gleichberechtigte Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen (UN-Behindertenrechtskonvention 2006) eingefordert werden. Dazu gehört auch die Umstellung auf anonymisierte Verfahren der Bewerber*innenauswahl und die Einführung von Beschwerdestellen.

Drittens gilt es, Betroffene zu stärken, sie zu ermächtigen und ihnen Partizipation und Teilhabe zu ermöglichen sowie ihnen ihre rechtlichen Möglichkeiten näherzubringen und Beratungsstellen zu unterstützen (vgl. Scherr 2016/bpb.de).

Diversitätsbewusste Pädagogik

Als konzeptionelle Rahmung zur Umsetzung der Anerkennung von Vielfalt schlagen wir folgende Triade aus Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion vor. Die Dimensionen werden nun einzeln kurz eingeführt.

Vielfalt

Vielfalt, auch als Diversität oder Heterogenität bezeichnet, bedeutet, dass alle Menschen unterschiedlich sind, und dies eine Bereicherung und Ressource darstellt. Es geht darum die Unterschiedlichkeit zwischen Menschen anzuerkennen und allen eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Vielfaltsdimensionen oder Merkmale, die alle Menschen auszeichnen und zu einem Individuum machen, sind z.B. Geschlechtsidentität, Sexualität, Alter, Migration, ethnische und religiöse Zugehörigkeit, Nicht-Behinderung, Behinderung/Beeinträchtigungen oder Klasse/soziale Herkunft/Milieu (vgl. Benbrahim 2012, 8-22). Es geht darum „ohne Angst verschieden sein zu können“ (Theodor Adorno 1944/1997, 114).

Vielfalt oder im englischen Diversity ist ein Konzept, das im US-amerikanischen Raum seit den 60ern und 70ern durch die Schwarze Bürgerrechtsbewegung geprägt ist und auf strukturelle Diskriminierungen von Menschen hinweist, die aufgrund ihrer Hautfarbe von strukturellem und institutionellem Rassismus betroffen sind. Diversität beinhaltet auch feministische Kämpfe sowie Kämpfe von LSBTIQ*-Personen um rechtliche, gesamtgesellschaftliche und ökonomische Gleichstellung aller Geschlechter und sexueller Orientierungen (vgl. Benbrahim 2012, 8-22).

Diversity Management

Seit den 80er Jahren gibt es im wirtschaftlichen Bereich das Konzept Diversity Management bei großen internationalen Konzernen, als produktive Deutung von Diversität zur Gewinnsteigerung. Die Vielfältigkeit von Menschen und Mitarbeiter*innen wird produktiv zur Gewinnmaximierung und als innovative Ressource und Wettbewerbsvorteil genutzt. Studien belegen, dass Diversity Management funktioniert, und Unternehmen, die auf allen Ebenen Personen unterschiedlicher Geschlechter, Sexualitäten sowie ethnischer und religiöser Vielfalt angestellt haben, sowohl innovativer als auch konkurrenzfähiger sind und mehr Gewinne machen (vgl. Benbrahim 2012, 8-22).

Seit den 90er Jahren ist der Vielfalts- und Diversitätsbegriff auch zunehmend in Deutschland verbreitet und seit 2006 verstärkt mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz verbunden, um strukturelle Zugangsbarrieren und Diskriminierungen zu adressieren, die z.B. mit Geschlechtsidentität, Sexualität, Alter, Migration, ethnischer und religiöser Zugehörigkeit, Behinderung oder Klasse/soziale Herkunft/Milieu verbunden sind.

Auch die Pädagogik der Vielfalt (Prengel 1990) oder Ansätze von diversitätsbewusster Pädagogik (Leiprecht 2011) zielen auf gleichberechtigte Bildungsbeteiligung aller Menschen und haben ihre Grundlage darin Vielfalt als gesellschaftliche Realität und Bereicherung anzuerkennen (Benbrahim 2012, 8-22). Die diversitätsbewusste Pädagogik setzt sich für mehr Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, Teilhabe und Freiheit für alle Menschen ein (Leiprecht 2011). Viele pädagogische Institutionen, Schulen und Hochschulen haben bereits Richtlinien und Strategien zur Anerkennung von Vielfalt erlassen.

Gleichberechtigung

Da in vielen gesellschaftlichen und beruflichen Bereichen z.B. Menschen mit Behinderungen, oder mit Migrations- oder Fluchtgeschichte unterrepräsentiert, strukturell ausgeschlossen oder benachteiligt werden, braucht es für eine Bildung, die Vielfalt anerkennt und gleichberechtigten Zugang zu Bildung aller ermöglicht, oft einer spezifischen Förderung. Dies gilt auch weiterhin für die Unterrepräsentation von Frauen* in relevanten gesellschaftlichen Bereichen, wie etwa Führungspositionen oder naturwissenschaftlichen Fächern und Berufen.

Im Bereich Bildung gibt es viele symbolische – teilweise unsichtbare – auch ökonomische Barrieren, die gleichberechtigten Zugang aller zu Bildung versperren. Zum Beispiel ist Armut oder Klasse sowie der Bildungsgrad der Eltern laut PISA-Studie (2015) immer noch in den meisten Ländern Europas einer der zentralen Faktoren für die Bildungslaufbahn der Kinder. Auch Kinder aus migrierten Familien/mit Migrationsgeschichte werden laut PISA-Studien (2015) in den meisten europäischen Ländern strukturell benachteiligt und weniger in der Schule gefördert.

Inklusion

Spätestens seit der UN-Behindertenrechtskonvention von 2006 und deren Ratifizierung von Deutschland 2009, ist Inklusion und damit auch ein Recht aller auf Bildung und gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe ein Menschenrecht (vgl. UN-Behindertenrechtskonvention 2017). Um Inklusion zu ermöglichen, müssen Barrieren oder strukturelle Ausschlusskriterien im Bereich Bildung abgebaut werden, damit gleichberechtigte Zugänge zu Bildung sowie Partizipation und Teilhabe für alle Menschen geschaffen werden.

„Inklusive Pädagogik bezeichnet Theorien zur Bildung, Erziehung und Entwicklung, die Etikettierungen und Klassifizierungen ablehnen, ihren Ausgang von den Rechten vulnerabler und marginalisierter Menschen nehmen, für deren Partizipation in allen Lebensbereichen plädieren und auf strukturelle Veränderungen der regulären Institutionen zielen, um der Verschiedenheit der Voraussetzungen und Bedürfnisse aller Nutzer/innen gerecht zu werden“ (Biewer 2010, S.193).

Inklusive Bildung bedeutet Lernräume bedürfnisgerecht, ressourcenorientiert und partizipativ zu ändern, damit alle gleichberechtigt lernen können. Dafür bedarf es eines vielfältigen Angebots an Lehr- und Lernformaten (z.B. Kleingruppenarbeit, eigene Forschungsarbeiten etc. Peerverfahren), an Medien (Spiele, digitale Medien, Bücher, Materialien) und multiprofessionellen Teams. Zentral für Inklusion ist die Orientierung an den Bedürfnissen aller Lernenden, sowie deren Partizipation im Lernprozess also Mitgestaltungs- und Veränderungsmöglichkeiten, Peer-Verfahren, die Arbeit in Lerngruppen etc. (vgl. Biewer 2010).

Im Bereich Digitalisierung und Bildung gibt es großes Potenzial, z.B. durch Vorleseprogramme, Übersetzungen in Fremdsprachen, Schreibprogramme, Lern-Apps, Online-Studium, multimedialen Einsätze etc., inklusive Lernverfahren zu ermöglichen und Bildungsbarrieren abzubauen.