Eine Handreichung zur diversitätsbewussten Pädagogik

3.3.1 Gewalt gegen Frauen

Körperliche Gewalt gegen Frauen

Laut einer EU-Studie aus dem Jahr 2013 haben in den zwölf Monaten vor der Befragung circa 13 Millionen Frauen EU-weit körperliche Gewalt erfahren. Das sind 7% der Frauen zwischen 18 und 74 Jahren (vgl. FRA, 2014). Körperliche Gewalt wird definiert als Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit einer Person. Darunter zählt beispielsweise an den Haaren ziehen, schlagen oder treten, würgen und Angriffe mit Messern, Waffen oder anderen Gegenständen (vgl. bff, 2019). In einer deutschlandweiten Studie berichteten 37% der befragten Frauen von Erfahrungen mit körperlicher Gewalt – in 50,2% wurde diese von einem Partner ausgeübt. 30,1% gaben als Täter*in eine*n Familienangehörige*n an und 71% wurden in der eigenen Wohnung verletzt (vgl. bff, 2019). Häusliche Gewalt gegen Frauen schätzten in einer Befragung der Europäischen Kommission 74% der Befragten als verbreitet in ihrem Land ein. Häusliche Gewalt gegen Männer dagegen wurde von lediglich 29% als verbreitet eingeschätzt (vgl. Europäische Kommission, 2016).

Häusliche Gewalt liegt dann vor, wenn es in einer häuslichen Gemeinschaft, wie beispielsweise der Ehe, zu Gewalt kommt. Häufig stellt die Gewalt ein komplexes Zusammenspiel aus sexuellen, körperlichen und psychischen Gewalthandlungen dar. Gewalttätiges Verhalten wird eingesetzt, um Macht und Kontrolle auszuüben, beispielsweise Drohungen und Erniedrigungen, soziale Isolation bis zu Schlägen und das Erzwingen von sexuellen Handlungen (vgl. bff, 2019).

Fast alle Befragten (96%) einer EU-Befragung gaben an, dass Gewalt gegen Frauen nicht akzeptabel ist, nur 2% würden diese unter bestimmten Umständen als akzeptabel bezeichnen. Ein Großteil der Befragten (86%) war der Meinung, dass häusliche Gewalt nicht akzeptabel sei und immer durch das Gesetz bestraft werden sollte, 12% waren der Meinung, dass sie nicht immer durch das Gesetz bestraft werden sollte. Vor allem die Befragten in Lettland, den Niederlanden und der Slowakei waren dieser Ansicht. In keinem Land war mehr als ein Prozent der Befragten der Meinung, dass häusliche Gewalt gegen Frauen unter allen Umständen akzeptabel sei. Doch Polen und die Slowakei waren die einzigen Länder, in denen mindestens einer von zwanzig Befragten häusliche Gewalt als unter bestimmten Umständen akzeptabel eingeschätzt hat (vgl. Europäische Kommission, 2016). Häusliche Gewalt gegen Männer wurde von den Befragten ähnlich bewertet, auch hier ist der Großteil der Ansicht, dass sie nicht akzeptabel und immer durch das Gesetz zu bestrafen ist. In Österreich, Polen und Rumänien gaben 6% der Befragten an, dass häusliche Gewalt gegen Männer unter bestimmten Umständen akzeptabel ist.

Sexuelle Gewalt gegen Frauen

Sexuelle Gewalt, wozu unter anderem Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, sexuelle Belästigung und sexueller Missbrauch zählen, haben schätzungsweise 3,7 Millionen Frauen innerhalb der EU erlebt. Eine von fünf Frauen ist ab dem 15. Lebensjahr vergewaltigt worden. In der Studie gaben 5% der Teilnehmenden an, dass sie zum Geschlechtsverkehr gezwungen wurden und 6% haben sexuellen Aktivitäten zugestimmt, weil sie Angst vor dem hatten, was geschehen könnte, wenn sie sich weigern (vgl. FRA, 2014).

Eine Umfrage der Europäischen Kommission im Jahr 2016 zeigt, dass etwa eine*r von fünf Befragten der Meinung ist, dass Betroffene für ihre Taten verantwortlich sind, Vorwürfe erfinden, übertreiben oder sogar die Gewalt provoziert haben. Befragte aus osteuropäischen Ländern vertraten diese Meinung eher. Geschlechtsverkehr ohne eine Einwilligung kann für ein Viertel der Befragten gerechtfertigt sein, wenn beispielsweise die Betroffenen betrunken sind oder unter dem Einfluss von Drogen stehen. 10% der Befragten waren der Meinung, dass freizügige, sexy Kleidung oder nicht deutlich nein sagen beziehungsweise sich nicht deutlich wehren eine Rechtfertigung für Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung darstellt (vgl. Europäische Kommission, 2016).

Diese Einstellungen sind höchst gefährlich, denn ob Betroffene Alkohol getrunken, Drogen genommen oder freizügige Kleidung getragen haben, spielt keine Rolle: ohne die Einwilligung einer Person liegt der Tatbestand der Vergewaltigung vor. Hinzu kommt, dass es keine Provokation von sexueller Gewalt gibt, weder durch Verhalten noch Kleidung. Niemand hat es herausgefordert vergewaltigt zu werden. Die meisten Vergewaltiger*innen gehen auch nicht nach dem Äußeren, sondern der geschätzten Verletzbarkeit einer Person. Ein*e Vergewaltiger*in sucht sich die Person aus, von der er oder sie glaubt, dass sie missbraucht werden kann. Auch das Fehlen von Abwehrreaktionen ist keine Ausrede für Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung. In einer solch beängstigenden Situation gibt es keine richtige oder falsche Reaktion, oftmals sind Betroffene von solcher Angst eingenommen, dass sie regelrecht „vor Angst erstarren“. Es handelt sich hierbei um eine unfreiwillige und natürliche Reaktion des Körpers, bei der die Fähigkeit sich zu wehren oder nein zu sagen unmöglich ist. Einige wehren sich nicht, um die an ihnen verübte Gewalt möglichst gering zu halten (vgl. Sexuelle Gewalt, 2019).

Die Gesamtprävalenz innerhalb der Europäischen Union zeigt, dass jede dritte Frau seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren hat. Mehr als die Hälfte der Frauen, die von sexueller Gewalt durch Partner*innen betroffen waren, gaben mehrere Vorfälle an. Rund ein Drittel der Betroffenen von Gewalt in der Partnerschaft und ein Viertel der Betroffenen von Gewalt durch andere Personen haben nach dem schwerwiegendsten Vorfall die Polizei kontaktiert. Der Unterschied in diesen Zahlen lässt sich auf die wiederholten Gewalthandlungen innerhalb der Partnerschaft zurückführen, denen die Betroffenen entfliehen möchten. Gewalt von anderen Personen geschieht mit hoher Wahrscheinlichkeit als Einzelfall mit einer geringen Gefahr für ein erneutes Auftreten. Etwa ein Viertel hat aufgrund von Scham oder Verlegenheit nicht die Polizei oder eine andere Einrichtung kontaktiert. Der Großteil der Betroffenen hätte sich nach den Vorfällen jemanden zum Sprechen und zur Unterstützung gewünscht, gefolgt von Schutz und anderen praktischen Hilfen (vgl. FRA, 2014).

Sexuelle Belästigung von Frauen

Jede Person hat eine eigene Vorstellung davon, was sexuelle Belästigung ist. Unterschiede lassen sich in der subjektiven Bedeutung, welches Verhalten zugeordnet wird, feststellen. Einen Einfluss haben vorherrschende kulturelle und gesellschaftliche Werte und Normen sowie die Einstellungen hinsichtlich der Geschlechterrollen und der Vorstellung von angemessenem Verhalten der Geschlechter (vgl. FRA, 2014). Unter sexueller Belästigung werden meistens beispielsweise Pfiffe, Bemerkungen über das Aussehen oder die Figur, obszöne Witze oder „zufällige“ Berührungen sowie Angrapschen gezählt (vgl. bff, 2019). Schätzungsweise haben 83 bis 102 Millionen Frauen innerhalb der EU seit dem 15. Lebensjahr sexuelle Belästigung erlebt. Ein Großteil der Frauen gab an, dass sie von zuvor unbekannten Täter*innen belästigt wurden, gefolgt von bekannten Personen und Personen aus dem Arbeitsumfeld (vgl. FRA, 2014).

Psychische Gewalt gegen Frauen

Psychische Gewalterfahrungen haben nach EU-Befragung 43% der Befragten in einer Partnerschaft erlebt. Dazu gehören Demütigungen, das Verbot die Wohnung zu verlassen beziehungsweise das Einschließen in der Wohnung, Gewaltandrohungen gegenüber den Betroffenen oder einer anderen wichtigen Person. Zusätzlich zu psychischer Gewalt hat ein Großteil der Frauen auch körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt. Ein Zusammenhang zwischen dem Alkoholkonsum des oder der Partner*in und der Anwendung von psychischer Gewalt konnte festgestellt werden: Je mehr Alkohol konsumiert wird, desto häufiger kommt es in der Beziehung zu psychischer Gewalt (vgl. Europäische Kommission, 2016).

Neben den dargestellten Formen von körperlicher, sexueller und psychischer Gewalt gibt es noch andere Formen von Gewalt gegen Frauen. 18% der Frauen in der EU haben seit dem 15. Lebensjahr Stalking erlebt (vgl. FRA, 2014). Dies sind etwa 9 Millionen Frauen innerhalb der Europäischen Union. Stalking ist definiert als willentliches, fortgesetztes und beharrliches Verfolgen und Belästigen einer Person über einen längeren Zeitraum. Frauen sind auch hier häufiger betroffen, die Täter sind zum Großteil Ex-Partner*innen, die aus allen sozialen Schichten und Altersgruppen stammen können. Stalking Handlungen können beispielsweise wiederholte Anrufe zu jeder Tages- und Nachtzeit oder Nachrichten auf dem Anrufbeantworter sein. Das Verfolgen der Person bei täglichen Wegen und eine häufige Präsenz vor der Wohnung oder der Arbeitsstelle gelten ebenso als Stalking. Unerwünschte Geschenke oder das massenhafte Zusenden von Briefen, E-Mails oder SMS fällt ebenfalls in diese Kategorie (vgl. bff, 2019). Unterschieden wird nochmal in Cyberstalking, darunter fallen ein permanentes Kontaktieren auf sozialen Netzwerken oder die Veröffentlichung von persönlichen Informationen über eine Person gegen deren Willen (vgl. bff, 2019). Cyberstalking betrifft meist junge Frauen, 4% aller 18 bis 29 Jahre alten Frauen haben Cyberstalking erlebt – das sind etwa 15 Millionen innerhalb der EU. Jede fünfte Frau hat Stalking über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren erlebt, drei Viertel der Stalking-Fälle wurden nie der Polizei gemeldet (vgl. FRA, 2014).

Folgen von Gewalt gegen Frauen

Gewalt gegen Frauen stellt eine Menschenrechtsverletzung und Verletzung der Menschenwürde sowie ein großes gesellschaftliches und gesundheitliches Problem dar (vgl. WHO, 2013). Direkte Folgen, wie die Übertragung von HIV oder anderen sexuell übertragbaren Krankheiten, Verletzungen oder der Tod bei Überfällen, sind keine Seltenheit. Gesundheitliche und psychische Probleme, wie Depressionen oder Suizide, Alkoholmissbrauch und Selbstabtreibungen, das heißt ein Schwangerschaftsabbruch oder eine Fehlgeburt ohne medizinischen Beistand, der selbst durch- und herbeigeführt wird, sind ebenso Folgen von Gewalterfahrungen. Gerade auf psychischer Ebene leiden Menschen durch die erfahrenen traumatischen Belastungen unter Stress, Angstzuständen und Isolationen. Auch Verletzungen während der Gewalterfahrung, durch beispielsweise Schläge oder Tritte, treten vermehrt auf. Gerade Kopf-, Nacken- und Gesichtsverletzungen werden häufig von den Täter*innen zugefügt, gefolgt von Knochenbrüchen oder Verletzungen an den Genitalien (vgl. WHO, 2013).

Zusammenfassung

Gewalterfahrungen vor dem 15. Lebensjahr haben 35% der Befragten erlebt. Etwa 21 Millionen Frauen haben einen sexuellen Missbrauch oder einen sexuellen Vorfall durch einen Erwachsenen erlebt. Durchschnittlich 27% der Frauen haben körperliche Gewalt durch eine erwachsene Person erlebt und etwa 10% der Frauen haben psychische Gewalterfahrungen durch ein erwachsenes Familienmitglied gemacht (vgl. FRA, 2014). Aus den unterschiedlichen Studien geht hervor, dass Gewalt gegen Frauen ein weit verbreitetes Phänomen ist. In der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind die Rechte und Pflichten der Bürger*innen der EU sowie der Schutz dieser Grundrechte festgehalten. Gezielt den Schutz von Kindern, jungen Menschen und Frauen vor allen Formen der Gewalt fördert das Programm Daphne. Innerhalb des Programms werden verschiedene Ziele verfolgt und unterschiedliche Akteur*innen und Organisationen vernetzt sowie unterstützt (vgl. Europäische Kommission, 2019).